Sonntag, 8. März 2015

Kochbuchvorstellung: Und rührs ein pahr Vatter Unßer lang...von Cornelia und Franz Haller

Wer gerne kocht, der liest meist auch gerne Kochbücher. In den gut 45 Jahren, die ich nun koche, hat sich eine ganze Anzahl Kochbücher bei mir angesammelt. Mir gefallen Kochbücher mit schönen Bildern und guten Rezepten. Doch am meisten interessieren mich Kochbücher, die ich als Koch-Lesebücher bezeichne. Da findet man nicht nur interessante Rezepte, sondern auch Geschichten vom und ums Essen. So ein Kochbuch ist Und rührs ein pahr Vatter Unßer lang von Cornelia und Franz Haller. Dieses Kochbuch wird sich in die Reihe meiner Lieblingskochbücher einreihen

Das Kochbuch basiert auf dem rund 200 Jahre alten, handgeschrieben Kochbuch von Joseph Anton Haller, ein Vorfahr der beiden Autoren. Haller berichtet in seinen Rezepten, was und wie man zu Zeiten Andreas Hofers in Tirol und insbesondere im Passeiertal gegessen hat. Seine Nachfahren, Cornelia und Franz Haller, haben die besten Rezepte aus diesem Kochbuch ausgesucht, nachgekocht und heutigen Koch- und Essgewohnheiten angepasst.

Ich kann mir gut vorstellen, daß es für die beiden Autoren eine mühselige Arbeit war, die Handschrift ihres Ahnen zu entziffern und die Ausdrücke aus dem alten Kochbuch ins heutige Deutsch zu übersetzen. Oder hätten Sie gewusst, was Agras, Brei, Ferchen, Paumböhl, Pergramb oder Kütten sind? Ich nicht.  Im Glossar und den Erläuterungen am Schluß des Buches sind diese Ausdrücke mit Übersetzungen der Autoren aufgeführt. Auch sie konnten nicht alle Rätsel lösen. Wie schwer diese Arbeit war, kann man im Anhang nachvollziehen, der einige Rezepte in Hallers Originalsprache enthält. Die Ausdrucksweise des Joseph Anton Haller entlockte mir mehr als einmal ein Schmunzeln.
Abbildung des Originalkochbuchs
Daß das Buch keine Fotos der Gerichte enthält, ist absolut kein Manko. Im Gegenteil, Hochglanzfotos würden gar nicht zum Stil des Buches passen. Wunderschöne Zeichnungen, Stiche und Originalkommentare aus der Handschrift, verwandeln das Kochbuch auch optisch in ein vergnügliches Lesebuch.

Bevor es ans Kochen und zu den Rezepten geht, wird höchst interessant und spannend die Kultur- und Gastronomiegeschichte der Passeiertaler Schildhöfe erzählt. In einem dieser Schildhöfe, dem von Sartaus, wurde Joseph Anton Haller 1760 geboren. Vielleicht hat er in der großen Küche des Sartauser Schildhofs auch sein Kochbuch geschrieben. Auch über die Ess- und Trinkgewohnheiten in Tirol im 1800 wissen die Autoren Interessantes zu berichten.

Der Rezeptteil ist klassisch nach Grundrezepten, Vorspeisen, Beilagen, Fisch und Krebse, Fleisch und Geflügel, Mehl- und Süßspeisen sowie Verschiedenes aufgeteilt. Als spezielles Schmankerl findet man im Anhang noch einige besondere Originalrezepte von Urahn Haller.


Und was kochte nun Herr Haller senior so? Joseph Anton Haller mochte Fleisch, Geflügel, Fisch, Flusskrebse und die überall in Tirol beliebten Mehlspeisen. Er schrieb einfach das auf, was er gern aß. Vegetarier war Haller allerdings ganz und gar nicht. Mit Salatrezepten oder Gemüse als Hauptgericht hatte er es nicht so. Vielleicht brauchte man dafür auch keine Rezepte. Dafür geraten jedoch Liebhaber der Tiroler Küche nicht nur bei klassischen Gerichten wie Schmalzfleckerln und Krautnudeln, Flusskrebsstrudel und Wildschweingulasch im Heusud, Marillenknödeln, Gugelhupf und Strauben ins Schwärmen. Zur Einstimmung gibt es Soufflé oder Gratin vom Flusskrebs, Schmarren oder Knödel mit Buchweizen oder Sauerkrautsuppe. Im Fischteil kann man unter gesottenen Forellen, Karpfen auf jüdische Art und Fischsülze wählen, um sich dann an einer Kalbsbrust mit Kapern, einem mit Mandeln gefüllten Huhn oder gebackenen Stubenküken mit süßer Sauce zu laben. Zum Abschluß etwas Süßes: Wie wäre es mit Kastanientorte, Mandelsoufflé oder einem Stachelbeerauflauf? Für Säfte, Saucen, Konfekt und andere Süßigkeiten hatte Haller ebenfalls ein Faible.  Unter Verschiedenes findet man Rezepte für Essigkirschen, Granatapfelgelee,  Grüne Nüsse, Quittensaft oder kandierte Pomeranzenschalen. Selbst ein Rezept für einen Verjus  (Traubensaft aus unreifen Trauben) ist zu vorhanden. Man merkt beim Lesen gleich, dass es zur Zeit des Autors in den Bächen des Passeier Tals von Fischen, Krebsen und anderen Genüssen nur so gewimmelt haben muß. Daß der Süden vom Passeier Tal nicht weit entfernt ist, erkennt man an der reichlichen Verwendung von Mandeln, Pistazien, Pomeranzen und Granatäpfeln.
Mein Fazit zu diesem schönen Buch: 
Dieses Kochbuch ist nicht nur den Freunden der österreichischen und ganz besonders der Tiroler Küche empfehlenswert. Jeder der Vergnügen Kochlesebüchern hat, wird an diesem Buch seine Freude haben. Die Rezepte sind gut verständlich und reizen zum Nachzukochen. Sie haben, trotz der Modernisierung, ihren Charakter beibehalten. Die Rezeptbreite reicht vom einfachsten Alltagsessen bis zu feinen, üppigen Alttiroler Festtagsgerichten. Es ist allerdings kein Kochbuch für Kochanfänger.

Zu Recht ist dieses wunderbare und unterhaltsame Buch, das auch optisch ein Augenschmaus ist, "Winner-Italy “ des Gourmand-Cookbook-Award in der Kategorie „Best local Cuisine Book 2015“. Meine Gratulation an den Verlag und die Autoren.

Cornelia und Franz Haller
Und rührs ein pahr Vatter Unßer lang
Alte Tiroler Festtagsrezepte für die Küche von heute
Edition Raetia
ISBN: 978-88-7283-479-4
19,90 Euro



Zum Ausprobieren habe ich mir diese vier Rezepte ausgesucht, deren Zutaten ich hier jederzeit bekomme. Es werden sicher nicht die letzten sein, die ich aus diesem historischen und kulinarischen Schatzkästlein kochen möchte.

Gebackene Stubenküken mit süßer Sauce -
Junge Heindl  in einer Sießen Schwarzen Suppen (S.74)

Orangentorte  - Pomberanzen Dortten
(S.82)













Sauerkrautsuppe (S.43)











Gesottene Forellen - Ferchen zu sieden, ein andere Art (S. 54)













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