Im Mittelalter war der Verjus ein wahrer Europäer. Die Katalanen nannten ihn agras, die Italiener agresto, die andalusisch-arabischen Köche kannten ihn als hisrim, die Engländer als verjons und bei den Deutschen hieß er Agraz. Damals war der Verjus ein sehr gebräuchliches Lebensmittel. Man schätzt, daß der Verbrauch bei sieben Liter pro Kopf und Jahr gelegen habe. Jean-Louis Flandrin (1931 – 2001), ein französischer Historiker und Autor zahlreicher Bücher über Lebensmittel, schätze, daß der Verjus in 42% der Rezepte des mittelalterlichen Kochbuchs Viandier auftauchte, das der Koch Guillaume Tirel, genannt Taillevent etwa im Jahr 1320 schrieb. Auch in späteren französischren Kochbüchern taucht Verjus als Zutat sehr häufig auf. Man verwendete Verjus anstelle von Zitrone oder Essig für Vinaigrettes, für Fleisch- und Fischgerichte, zum Zubereiten von Saucen oder zum Marinieren. Da seinerzeit die Pasteurisierung noch unbekannt war, fügte man dem Verjus Salz zu, um ihn länger haltbar zu machen.
Es war Jean Naigeon, der um 1752 erstmals Verjus für die Senfherstellung verwendete, statt des starken Essigs. Diese Neuerung krempelte die Senfindustrie völlig um und führte zum Ruhm des Senfs von Dijon. Die Reblaus beendete Ende des 19. Jahrhunderts jedoch die Karriere des Verjus. Heute wird auch der Dijonsenf mit Essig hergestellt.
Grünernte der Trauben aus dem „Tacuinum Sanitatis“ (1474) Foto: Bibliothèque nationale de France |
Im 18. Jahrhundert bekam der Verjus zusätzlich ernsthafte Konkurrenz durch den Essig und die Zitrone. Danach geriet der Verjus fast in Vergessenheit. Außer im südwestfranzösischen Périgord. Es ist bewiesen, daß hier der Verjus bis heute bei Groß und Klein in Gebrauch ist. Circa sieben Liter sollen die Périgourdins pro Kopf und Jahr verbrauchen. Er wird mit Johannisbeeren, feinen Kräutern und Gewürzen abgezogen und würzt so zahlreiche Saucen. Auch als erfrischendes Sommergetränk, vermischt mit saurem Sprudel, mögen ihn die Périgourdins. Allerdings ist im Périgord der Verjus längst pasteurisiert und so wahrscheinlich weniger sauer dafür aber fruchtiger als im Mittelalter.
Inzwischen hat sich der Verjus langsam aber sicher wieder seinen Platz in der Gastronomie zurückerobert. Zu Recht, denn seine Säure ist milder als die von Essig, sein Aroma feiner als das von Zitronensaft.
Mein Verjus ist ebenfalls deutlich milder und weniger sauer als Essig und man schmeckt das feinwürzige Aroma der Muskatellertraube auf der Zunge. Ich verwende Verjus z.B. statt Wein zum Aufgießen von Saucen für Geflügel, Bries oder Nieren, auch für fruchtige Fischsaucen und für Vinaigrettes. Bei Sommerhitze ist Verjus mit Sprudel und einem Spritzer Holunder- oder Cassissirup, der eine leichte Süße verleiht, ein erfrischendes Getränk..
Verjus -selbstgemacht aus grünen Muskatellertrauben
möglichst viele unreife (grüne) Trauben
Die Trauben gründlich unter fliessendem Wasser abwaschen. Die Beeren vom Strunk abzupfen und durch die Flotte Lotte drehen. Wer keine Flotte Lotte hat, stampft die Trauben in einer Schüssel oder in einem Mörser zu einem feinen Brei. Eine Mordsarbeit, sage ich euch.
Den Traubensaft durch ein Haarsieb in eine Schüssel seihen. Dann noch einmal durch ein mit Küchenpapier oder einem feinen Mulltuch ausgelegtes Haarsieb durchseihen. Den Saft in einen Topf füllen. Zum Kochen bringen, um die Hefesporen abzutöten.
Den Verjus abkühlen lassen und in sehr saubere Flaschen oder Einmachgläser abfüllen.
Noch ein Tipp:
Angebrochen sollte man die Flasche Verjus unbedingt im Kühlschrank aufbewahren, da der Säuregehalt allein zur Konservierung nicht ausreicht.
Hier zwei Rezepte für Gerichte mit Verjus:
Wachteln in Verjus geschmort mit Estragon und Zuckerschoten
Forellenmousse mit frischen Kräutern
2 Kommentare:
Hallo Margit,
tolle Anleitung und wirklich interessante Infos hast du da! Mit Verjus zu kochen/experimentieren steht unbedingt auf meiner To-do-Liste. Bin leider bisher noch nicht in den Genuss gekommen! Und auch deine Rezeptideen dazu verleiten ja noch mehr :-) Jetzt brauch ich nur noch die Trauben!
Liebe Grüße,
Eva
@Eva: Danke Eva. Es lohnt sich wirklich, Verjus einmal selber zu machen. Ich denke mal in Deutschland dürften die grünen Trauben bald soweit sein. Mit Verjus kochen, ist ein ganz anderes Geschmackserlebnis ;-)
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